Montag, 10. April 2006
Aven - Treffen asexueller Menschen
Hallo zusammen,
gestern war ich auf dem Baden-Württembergischen Aven-Treffen in Karlsruhe.

Bei Aven geht es wie ich wohl schon mal irgendwann geschrieben hatte um Asexualität, das heisst um Menschen, die kein Verlangen nach Sexualität haben.

NICHT gemeint sind damit Menschen, die freiwillig zölibatär leben, oder die aus körperlichen oder psychischen Gründen sexuelle Probleme, also beispielsweise Potenzprobleme haben.

Es scheint, wohl eher so zu sein, daß Asexualität angeboren ist, ähnlich wie Homosexualität oder Heterosexualität (oder Transidentität).
Und das würde dann bedeuten, daß man an der Asexualität auch nichts ändern kann, ebensowenig wie man sich aussuchen kann, ob man Hetero- oder Homosexuell sein will.
So habe ich das zumindest verstanden.

Allerdings ist es mit der Asexualität wohl genauso wie mit der Transidentität:
Es ist alles ein wenig komplizierter, wenn man genauer hinschaut...
Es scheint nämlich auch Menschen zu geben, die aus bestimmten Gründen nur zeitweilig asexuell sind...
weil sie etwa, sagen wir mal schlechte Erfahrungen mit Sexualität gemacht haben...

Falls es euch interessiert, lest es selber nach.
Die Seite findet ihr hier:
http://www.asexuality.org/de/

Jetzt sehe ich mich zwar nicht als Asexuell, denn gemeint ist damit, daß jemand von sich aus kein Verlangen nach Sexualität hat, es also NICHT WILL...

Mein Problem ist ein Anderes. Mein sexuelles Verlangen war früher durchaus vorhanden, aber:
*da sich nie jemand für mich interessiert hat, hatte ich auch nie sexuelle Kontakte...
*da sich für mich als transsexuelle Frau erst recht niemand interessiert, wird das wahrscheinlich auch in Zukunft so bleiben...
*durch die Hormone und Anti-Androgene ist meine Sexualität inzwischen sowieso so gut wie nicht mehr vorhanden, d.h. bei mir ist sowohl das Verlangen als auch das können ziemlich eingeschränkt...
*und ob davon nach einer eventuellen Operation nochmal was wiederkommt, oder ob das so wie jetzt bleibt oder noch weniger wird... das weiss der Himmel, aber ich nicht...
*und zuletzt: Mir sind andere Dinge schlicht wichtiger als Sexualität... die Transidentität beispielsweise... logisch, sonst wäre ich ja nicht bereit dafür die Sexualität zu opfern...

Jedenfalls... auch wenn ich mich nicht als asexuell sehe... aber aufgrunde meiner Transidentität habe ich mich darauf eingestellt, daß auch mein restliches Leben weitgehend asexuell verlaufen wird... ob ich will oder nicht...
Und weil es für mich ziemlich aussichtslos ist, auf eine Partnerschaft zu hoffen, werde ich mich lieber auf platonische Kontakte aller Art konzentrieren...

Und aus all diesen Gründen gibt es da durchaus einige Ähnlichkeiten zwischen meiner Situation und der von asexuellen Menschen.

Wir waren gestern neun Personen, auf dem Treffen, vier Männer, vier Frauen... und naja ich eben ;)...
Eine der Frauen wollte mit dem Auto vorfahren... ist uns dann aber irgendwie abhanden gekommen, so daß wir zum Schluss zu acht waren und uns so fünf Stunden unterhalten haben, über alles Mögliche... mehr über den Karlsruher Nahverkehr als über Asexualität ;)...
Kein Wunder, schließlich fällt das nicht so ganz einfach Fremden in aller Öffentlichkeit und persönlich so intime Dinge zu erzählen...
Und das was erzählt wurde, werde ich hier natürlich nicht ausbreiten. Das gehört nicht hierher.

Darum werde ich mich hier darauf beschränken, was mich dabei beschäftigt hat.

Für mich war es vor allem darum eine angenehme Erfahrung, weil ich mich dort verstanden gefühlt habe...

Bei normal-sexuellen Menschen habe ich ja beispielsweise öfter mal das Problem, daß ich auf Unglauben stoße oder man sogar denkt ich würde lügen, wenn ich erzähle, daß ich noch nie eine Beziehung hatte und noch nicht einmal auch nur ein einziges mal mit irgendjemand Sex hatte... weil viele sich das überhaupt nicht vorstellen können ohne Sexualität zu leben...

In der Aven-Gruppe wurde dagegen einfach nur verständnisvoll genickt, als ich das erzählt habe...
Niemand war verwundert, niemand hat ungläubig nachgefragt, weil es den meissten wohl gar nicht so viel anders oder sogar genauso wie mir ging...

Und ebensoviel Verständnis fand ich mit meiner Aussage, daß es in meinem Leben wichtigeres als Sexualität gibt. Auch das haben alle kommentarlos akzeptiert, weil es wohl allen genauso geht wie mir... wenn auch aus etwas anderen Gründen...

Und alle kannten auch die Befürchtung von der Umgebung zumindest schief angesehen, wenn nicht sogar abgelehnt und diskriminiert zu werden, falls sie sich mit ihrer Besonderheit outen würden... und deswegen sprechen die allermeissten wohl auch nur mit wenigen Menschen in ihrer Umgebung über ihre Asexualität...
Der Unterschied zwischen ihnen und mir ist nur, daß ich mich mit meiner Transidentität outen MUSSTE, wenn ich sie leben wollte...
Asexualität dagegen muss man niemand auf die Nase binden, schließlich bekommt es ja normalerweise keiner mit wie viele sexuelle Kontakte man so hat... oder eben auch nicht...
Ich habe jedenfalls vollstes Verständnis dafür, daß sie sich sehr zurückhalten damit, wem sie davon erzählen!
Ich kenne ja die Reaktionen, die man mit so etwas erntet...
Manche Menschen scheinen alles, was irgendwie anders ist und irgendwie mit Sexualität zu tun hat - und sei es noch so entfernt -, für pervers zu halten...
Mich halten mache Menschen ja offenbar auch für ein Monster, nur weil ich transsexuell bin...

Andererseits habe ich mich dort aber nicht nur besser verstanden gefühlt als von manchen normal-sexuellen Menschen... sondern auch deutlich besser verstanden, als von anderen Transidenten...

Nicht nur, daß mir Sexualität nicht so wichtig ist - was auch viele Transidente nicht verstehen...
Nein, auch wenn mir die Transidentität wichtiger ist, als Sexualität - das muss sie sein, denn sonst wäre ich nicht bereit meine Sexualität ganz oder zumindest teilweise dafür zu opfern - aber es gibt auch Dinge, die mir auch wichtiger sind als die Transidentität!
Und das ist etwas, was offenbar keine Transidente verstehen kann... jedenfalls ist mir noch keine begegnet, die dafür Verständnis hatte...
Ja noch schlimmer... das scheint für andere Transidente wirklich VÖLLIG unverständlich zu sein... zumindest hatte ich bisher diesen Eindruck...

Darum verspüre ich auch kein Bedürfnis nochmal in irgendeine transidente Selbsthilfegruppe zu gehen...
Da habe ich mich noch nie besonders wohl gefühlt... und auch nie wirklich verstanden...
Schließlich, bin ich nicht in ersten Linie Transident, sondern vor allem erstmal Mensch - und ein Individuum!
Nur weil ich transident bin, heisst das nicht, daß ich alle TI-Klischees erfülle! Das wäre ja noch schöner...
Nein, ich nehme mir die Freiheit manche Dinge auch anders zu sehen, anderes wichtiger zu nehmen, als die TI... und damit stoße ich dort auf herzlich wenig Verständnis...
Transidente sind auf ihre Weise kein bisschen weniger Intolerant als die übrige Bevölkerung... und wer nicht in's übliche Raster passt wird abgelehnt...

Jedenfalls war es ein sehr angenehmes Treffen... auch wenn ich als vor allem Trans- und nur unfreiwillig asexuell lebende Frau dort nicht ganz in's 'Schema' gepasst habe, hatten wir trotzdem genügend Gemeinsamkeiten...

Auf der Rückfahrt zum Bahnhof konnte ich dann noch gleich testen, was ich kurz zuvor erfahren hatte:
Daß die Vorder- und Rückscheiben der Karlsruher Bahnen verstärkt sind, für den Fall, daß die transportierte 'Biomasse' ;) bei einer Vollbremsung dagegenklatscht, damit die dann nicht alle durch die Scheibe auf der Straße landen...
Beim losfahren hatte es der Fahrer offenbar eilig, so daß ich, noch nicht saß und dann fast wie eine Fliege an der hinteren Scheibe der Bahn klebte ;)...
Seither kann ich bestätigen, daß die Scheiben wirklich stabil sind und sowas aushalten ;)...

Die Heimfahrt von Karlsruhe nach Schduargard verlief dann noch etwas chaotisch, weil Kontrolleure im Zug waren und es bei irgendjemand Probleme mit der Fahrkarte gab...
Beim nächsten Halt haben sie dann deswegen die Türen nicht aufgemacht und gewartet, bis die Polizei kam um sich um denjenigen zu kümmern...
Und ich saß da wie auf Kohlen, weil in Schduargard nur 11 Minuten Zeit waren, damit ich meine S-Bahn heim noch bekam... sonst hiess es mal wieder eine halbe Stunde auf die nächste warten...
Letztlich ist der Zug dann 45 Sekunden vor der Abfahrt meiner S-Bahn in Schduargard angekommen... eigentlich zu wenig um es in der Zeit zwei lange Treppen runter bis zu den S-Bahnen zu schaffen...
Und als ich unten ankam, stand die S-Bahn schon da, der Zugführer sah nach hinten, in die andere Richtung und das Piepsignal das vor dem Schließen der Türen ertönte erklang schon...
Buchstäblich in letzter Sekunde habe ich es noch rein geschafft... zwei drei Sekunden später und ich hätte das Vergnügen gehabt auszuprobieren, wie man sich so zwischen zwei Türhälfen eingeklemmt fühlt...

Wie ich dann da so schweratmend im Abteil stand, mit knapp knielangem Rock, sah ich im Spiegel, wie mich mehrere teenie-Mädchen die dort auf der Bank saßen anstarrten... die eine mit weit offenem Mund und ebensolchen Augen... und unglaublich dämlich aus dabei ;)...
Vielleicht hätte ich ihr das sagen sollen ;)... aber in dem Moment habe ich daran gar nicht gedacht, sondern fand es einfach nur lustig, wie man so gaffen kann...

Hallo...? Ich bin nichts besonders... nur eine transsexuelle Frau... Noch nie was davon gehört, oder wie...? Jedenfalls gibt es wirklich keinen Grund mich so anzustarren...

Jedenfalls hat mir das gestern nichts ausgemacht, sondern mich einfach nur amüsiert...
Das war früher, vor gar nicht so langer Zeit noch ganz anders...

Ich habe mich wie gesagt nicht weiter um die Mädchen gekümmert, sondern den Wagen gewechselt, nicht wegen denen, sondern weil ich im 'falschen' war, wie ich bald feststellte...
Ich steige sonst immer so ein, daß ich beim Aussteigen möglichst nahe an der Treppe bin, weil ich zu fuß schnell unterwegs bin und es mich tierisch nervt, wenn ich dann immer hinter allen die langsamer sind als ich hertrotten muss, weil die Treppe zu schmal ist um sie zu überholen.
Aber diesmal hatte ich dafür keine Zeit gehabt zum richtigen Wagen zu laufen.

Im nächsten Wagen wurde ich dann schon wieder begafft, diesmal von zwei jungen Frauen... und wieder musste ich mich bemühen nicht zu offensichtlich über dieses Verhalten zu grinsen...
Auris fragte sogar:
"Wollen wir zurückstarren?" Sie fand das offenbar genauso lustig wie ich...
Das mit dem Zurückstarren habe ich dann zwar nicht gemacht, das wäre zu hart gewesen ;), aber gut möglich, daß ich das bei Gelegenheit mal mache... und ich glaube ich kann gut Leute anstarren, wenn ich es für nötig halte ;)...

Jedenfalls fand ich es sehr erfreulich, wieviel weniger es mir heute ausmacht angestarrt zu werden, daß ich es sogar mit Humor nehmen kann inzwischen...
Das ist ein großer Fortschritt... was natürlich NICHT heisst, daß ich es mir wünsche aufzufallen, nein absolut nicht!
Darauf könnte ich gerne verzichten... und wenn es mir nicht gut geht, dann wird es mir sicher auch weiter weh tun, aber es ist eben zum Glück lange nicht mehr so schlimm wie früher...

Das zeigt mir aber auch jedes mal wieder, daß ich leider nicht so weiblich aussehe, wie ich es mir wünschen würde... und daran würde ich schon gerne noch etwas ändern... vor allem weil ich, wenn ich in den Spiegel sehe eine Frau sehen möchte...
Mal sehen... in etwas mehr als einem Monat hätte ich da ja einen Termin zu diesem Thema...
Ich glaube gestern ist die endgültige Entscheidung dafür gefallen, diesen dann auch wahrzunehmen...

Soviel zu meinem gestrigen Ausflug zum Aven-Treffen...
Ja und ich denke ich werde auch bei weiteren Treffen durchaus mal wieder reinschauen...

Viele Grüßle

Aurisa

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